Die Straubinger Orgel ist eine Orgelanlage, die aus 3 Teilorgeln besteht:

• die Hauptorgel im historischen Gehäuse von 1898 auf der Westempore,
• die Chororgel auf und hinter dem Orgelbalkon von 1965 in der Nordwand,
• und erstmals in Straubing dem Fernwerk, das über dem Heilig-Geist-Loch auf dem Dachboden steht.

Die Dreiteilung der Orgel hat nicht nur räumliche Gründe, da die Gesamtorgel nicht in eines der Gehäuse gepasst hätte, sondern vor allem das Ziel, den riesigen Kirchenraum optimal mit Orgelklängen zu durchfluten. Die Hauptorgel kann dies für den Gesamtraum, besonders aber für die Gemeinde im Kirchenschiff tun; die Chororgel hingegen ist prädestiniert für die Begleitung von gottesdienstlichen Handlungen im Bereich des Altarchores, sie kann aber zugleich die Klangbalance der Hauptorgel verstärken. Ganz anders das Fernwerk: Es erzeugt bewusst den Klang einer Orgel, die aus weiter Ferne klingt, quasi himmlisch ist, und bereichert mit diesem räumlich-akustischen Effekt den Gesamtklang.

Alle drei Orgeln werden von 2 Spieltischen angespielt. Diese sind identisch angelegt, sodass der Wechsel vom Haupt- zum Zweitspieltisch künftig keine Umstellung mehr erfordert. Alle Registrierungen, die am Hauptspieltisch eingespeichert wurden, sind auch am Zweitspieltisch verfügbar und umgekehrt. Es können sogar zwei Organisten von beiden Spieltischen gleichzeitig spielen, entweder additiv, oder sich die Teilwerke der Orgel untereinander aufteilen…

Die neue Orgelanlage enthält 100 Register. Die runde Zahl war keineswegs Ziel, sondern ergab sich einfach aus den künstlerisch-konzeptionellen Diskussionen während der Planung. Hinzu kommen 6 Transmissionen: Das sind Pfeifenreihen, die eine zweite Anspielung von einer anderen Klaviatur (i.d.R. vom Pedal aus) haben. Von diesen 100 Registern stehen 76 in der Hauptorgel, 19 in der Chororgel und 5 im Fernwerk.

Das größte und somit führende Teilwerk ist somit die Hauptorgel. Sie ist in ihrem Inneren in 3 Haupt- und ein Zwischengeschoss unterteilt. Die 76 Register mit 5.351 Pfeifen sind auf 6 verschiedene Teilwerke verteilt. 5 von ihnen sind je einer der 5 Klaviaturen fest zugeordnet: I. Manual Hauptwerk, II. Manual Oberwerk, III. Manual Récit (französisches Schwellwerk), IV. Manual Echo-Schwellwerk, und dazu das Pedalwerk. Das 6. Teilwerk ist das Solowerk: Es enthält 4 besonders farbige, klanglich führende Register. Diese können von jeder Klaviatur aus unabhängig angespielt werden. Zuletzt gibt es noch die Celesta, die keine Pfeifen, sondern 37 Klangplatten enthält (glockenspielartig); die kann vom II. und III. Manual angespielt werden.

Die gesamte Hauptorgel ist begehbar: Gänge, Laufböden und Leitern ermöglichen den Zugang zu allen technischen Teilen und Pfeifen. Das ist nicht nur für Wartungen nötig, sondern auch zum regelmäßigen Nachstimmen.

Der Spieltisch der Hauptorgel ist fest an das Gehäuse angebaut. Er ist nicht mehr beweglich; das ermöglicht nämlich, eine sensible, direkte mechanische Verbindung zwischen Tasten und Tonventilen anzulegen (an der bisherigen Orgel geschah dies elektropneumatisch).

Im Inneren des Gehäuseunterbaus befinden sich auf der Spieltischrückseite die komplexe Trakturanlage: Hunderte von feinen Holzabstrakten führt zu allen 5 mechanischen Teilwerken, elektronische Controller, Datenkabel verbinden die elektrische Registeranlage und die Koppeln, Magneten verschiedenster Größe bewegen die Registerschleifen und angekoppelten Tonventile. Eine Besonderheit ist die Barkermaschine für das III. Manual, die in der Mitte des Orgeluntergehäuses steht: Ihre 61 kleinen Bälgchen unterstützen die mechanische Traktur, um die weit entfernten und großen Tonventile dieses größten und am weitesten vom Spieltisch Teilwerkes der Orgel zu öffnen. Im Untergehäuse an den Seiten sind aber auch die ersten Pfeifen aufgestellt: die größten Pfeifen, die zum Pedal gehören und fast 8 Meter lang sind. Sie können den Platz über die ganze Höhe des Orgelgehäuses für sich nutzen.

Die Windmaschinen befinden sich wie bisher in dem kleinen „Häuschen“ unterhalb des Fensters rechts neben der Orgel. Es dient zugleich der Schalldämmung. Hier stehen die große Hauptwindmaschine und dazu eine spezielle Windmaschine für Hochdruck. Drei Bälge sammeln und beruhigen den Wind, bevor er über massive Holzkanäle in das Orgelgehäuse geleitet wird (hinter der neuen schrankartigen Verkleidung zwischen Orgel und Motorenhäuschen).  Im Untergehäuse befinden sich die ersten 6 großen Bälge; weitere 4 Bälge folgen auf den höheren Geschossen. Alle Bälge sind über großdimensionierte hölzerne Windkanäle verbunden, der die Druckluft von den Hauptbälgen zu jedem einzelnen Balg verteilt und von dort zu den Windladen leitet.

Die 2. Ebene der Orgel befindet sich auf Höhe des großen durchlaufenden Simses des Gehäuses mit dem Spruchband von 1966. Hier stehen in der Mitte die beiden großen Windladen des Hauptwerks, des klanglich führenden Werkes der Hauptorgel.  Ihm beidseits zur Seite steht das Kleinpedal – ein zweiter Teil an Pedalregistern, dessen Pfeifen kleiner sind als die im Großpedal zu ebener Erde. Hinter dem Hauptwerk steht das Echo-Schwellwerk. Es ist bewusst in die Tiefe des Orgelgehäuses eingebaut und klingt dadurch etwas indirekt, ätherischer und feiner. Man kann es z.B. gut zum Begleiten nutzen. Alle seine Pfeifen stehen in einem großen, massiven Schwellkasten, dessen gesamte Vorderseite Jalousien besitzt, die vom Spieltisch aus mit einem der 4 Balanciertritte geöffnet und geschlossen werden können und so den Klang dynamisch fließend lauter und leiser machen.

Über Leitern gelangt man zum Zwischengeschoss, das den Zugang zur Spieltechnik ermöglicht – und zum Clarinettenwerk, das rechts außen oberhalb des Pedals steht. Es besitzt einen eigenen Schwellkasten, der ihm eine großartige Dynamik ermöglicht.

Der Weg führt weiter hinauf in die 3. Hauptebene, die sich hinter den beiden kleinen Zwischenfelder im Prospekt befindet. Hier steht vorn in der Mitte das Oberwerk, das von hier aus klanglich besonders präsent und klar ist. In seiner Mitte ist die Celesta aufgestellt. Links neben dem Oberwerk befinden sich die beiden großen Solo-Register Tuba sonora und Melodia. Hinter dem Oberwerk steht das größte Teilwerk der Orgel (17 Register), das große Récit in einem weit dimensionierten Schwellkasten. Er reicht bis in fast 9 Meter Höhe (die Oberkante sieht man zwischen dem Schnitzwerk der Orgel vom Altarchor aus).

Zur Chororgel mit 19 Registern und 1.018 Pfeifen führt eine Wendeltreppe durch die Sakristei. Der kleine Balkon nimmt das Hauptwerk der Chororgel auf (I. Manual) mit den großen schlanken Pfeifen des Salicional 16‘ – das größte Pfeifenfeld ist an den Spitzen exakt 8 Meter lang. Der niedrige Innenraum der Orgelkammer dahinter musste besonders intensiv ausgenutzt werden. Rechts steht das Schwellwerk (II. Manual), links die Pedalregister. Stimmgänge führen zwischen den Windladen hindurch; hinter dem Prospekt führen Leitern nach oben zu den Enden der größten Pfeifen, um sie stimmen zu können. 2 Bälge und eine Windmaschine sind ganz rechts in der hinteren Ecke platziert.

 

Die Wendeltreppe zur Chororgel führt weiter auf den Dachboden. Hier steht direkt vor dem Heilig-Geist-Loch (Richtung Altar) das Fernwerk mit 5 Registern und 244 Pfeifen in einem großen eigenen Schwellkasten. Auch hier gibt es eine Zugangstür mit Stimmgang und einen eigenen Balg mit Windmaschine. Damit der Klang gut in das Kirchenschiff gelenkt wird, ist das Heilig-Geist-Loch mit einem Anbau überdacht, der den Klang nach unten lenkt. Wird die Orgel ausgeschaltet, öffnet sich automatisch eine Reihe von Lüftungsjalousien in diesem Anbau und ermöglicht die wichtige Luftzirkulation zwischen Kirchenschiff und Dachboden.

Die neue Eule-Orgel wird mit modernster, aber bereits bewährter Technik angespielt. Der Hauptspieltisch erhielt (erstmals seit vor 1898) wieder eine mechanische Verbindung Taste-Tonventil für die 5 Teilwerke der Orgel. Das Solowerk wird jedoch elektrisch angespielt – so kann es jeder der verschiedenen Klaviaturen zugeordnet werden. Der Zweitspieltisch ist hingegen auf einem fahrbaren Podest montiert und kann seine Position verändern – in einem Umkreis um zwei Hauptstandorte vorn und hinten im Altarchor. Als Besonderheit kann man das Oberteil des Spieltisches höher und tiefer fahren (elektrisch) und die Lage der Pedalklaviatur verändern – so kann ihn jeder Spieler an seine Körpermaße anpassen. Der Zweitspieltisch spielt natürlich rein elektrisch. Damit er auch die mechanischen Teilwerke der Hauptorgel anspielen kann, besitzen diese additiv eingreifende Tonventilmagneten. Ihr Vorhandensein wird auch genutzt, um die zahlreichen Koppeln zu ermöglichen, mit denen die Klaviaturen und Teilwerke der Orgel fast beliebig miteinander verbunden werden können, um neue Klangkombinationen zu bilden – oder alle 3 Teilorgeln zusammen zu spielen. Die weit entfernte Chororgel und das Fernwerk spielen natürlich rein elektrisch.

Dem Organisten stehen an jedem der Spieltische 4 Manualklaviaturen mit 61 Tönen und eine Pedalklaviatur mit 30 Tönen zur Verfügung. Mit 106 der Registerwippen kann er alle Klangfarben der Orgel einschalten. Mit 25 weiteren Wippen kann er die verschiedenen Koppelungen aktivieren – 10 verbinden in der gleichen Tonlage und 15 oktavversetzt (8 in die Oberoktave als Superkoppel, 7 als Subkoppel in die Unteroktave). Die 5 übrigen Wippen aktivieren Tremulanten, mit denen für den Klang von 5 Teilwerken ein Vibrato erzeugt werden kann. Die rein elektrisch angespielten Teilwerke Solowerk, Fernwerk, Chororgel-Hauptwerk und Chororgel-Schwellwerk lassen sich mit je 4 Leuchtdrückern an jede der 5 Klaviaturen ankoppeln. Die 5 Schwellkästen werden von 4 Balanciertritten im Spieltisch rechts über dem Pedal bedient; Umschalttasten im Spieltisch erlauben die Belegung so zu variieren, dass jedes der Schwellkästen einzeln ansteuerbar ist, oder alle zusammen (Schwelltrittskoppler).

Mit 100 Registern sind viele Millionen von Klangkombinationen möglich. Diese kann sich der Organist vor dem Spielen in einer Setzeranlage abspeichern. In einem Schubkästchen unter dem Manualboden rechts ist dazu ein Rechner mit Display und Touchscreen eingebaut. Die Zahl speicherbarer Kombinationen ist unbegrenzt. Abgerufen werden sie mit den Druckknöpfen unter allen Manualklaviaturen, besonderen Trittpistons und den je 2 kleinen Leuchtdrückern ganz außen an den Spieltischen, mit denen auch ein Assistent die Setzeranlage bedienen kann. Der Organist kann seine Kombinationen passwortgeschützt abspeichern, oder im frei zugänglichen Gästebereich ablegen. Natürlich gibt es im Hintergrund eine doppelte Datensicherung… Ein besondere Registrierhilfe ist die Walze in der Mitte über dem Pedal: Dreht man sie mit dem Fuß, schalten sich nacheinander alle Register und Koppeln in einer ganz bestimmten dynamischen Reihenfolge ein (die der Organist auch ändern kann) und erzeugen ein Generalcrescendo vom leisesten pianissimo bis zum brausenden mächtigen Tutti (und zurück). Das ist hilfreich bei Improvisationen, die nicht zuvor eingespeichert werden können, oder für spätromantische Musik, die mit der Walze rechnet. Mit einem der Trittpistons kann die Walze abgeschaltet werden, sodass allein die Handregisterwippen aktiv sind. In den Vorderkanten der Notenpulte zeigen Digitalanzeigen dem Organisten an, welche Registerkombination, Walzen- und Schwellwerksposition jeweils aktiviert ist. Alle Registerwippen vollziehen über Magneten übrigens alle Schaltbewegungen mit, wenn eingespeicherten Kombinationen abgerufen werden oder die Walze gedreht wird – so sieht der Organist jederzeit, welche Register eingeschaltet sind.

Für die elektrischen Anspielungen sowie die Registeranlage greifen optoelektronische Kontakte unter den Tasten im Spieltisch das Tastendrucksignal ab, ähnlich bei allen Wippen, Drückern und Pistons. Controller sammeln die Signale und verarbeiten sie in digitale Daten, die von Datenkabeln weitergeleitet werden. Solche Datenkabel verbinden daher die Hauptorgel via Dachboden mit dem Fernwerk, der Chororgel und den 2 Anschlussorten des Zweitspieltischs – teils über 100 Meter Datenkabelentfernung. In den einzelnen Orgelwerken verteilen weitere Controller wieder die Signale und leiten sie an die Magneten der Töne und der Register weiter, die dann rein elektrisch schalten. Rund 500 kleine Magneten für die Tonventile und ca. 130 große Magneten für die Registerschleifen bewegen sich in der gesamten Orgelanlage. Die elektrische Technik wird auch genutzt, um dem Organisten das Nachstimmen zu erleichtern: Mit einem Orgel-Smartphone mit spezieller App kann er sich jeden einzelnen Ton aufrufen und zum Klingen bringen, während er in der Orgel steht und nachstimmt. Die gesamte Orgelelektronik System Eule (OSE) haben wir seit 2008 mit der Hochschule für Technik im sächsischen Mittweida entwickelt.

Die insgesamt 23 Hauptwindladen sind als Schleifladen aus Eiche gebaut. Sie verteilen die Luft auf fast jede einzelne Pfeife (nur bei den 8 Registern, die 2- bis 5fach sind, erklingen je 2 bis 5 Pfeifen auf einmal). Dazu überwindet der Wind zunächst das Tonventil, das die Tonhöhe schaltet (via Tastendruck), und dann die Registerschleife, die über einen beweglichen Sperrschieber (die namensgebende Schleife) die Klangfarbe bzw. das Register schaltet (durch Druck auf eine der Registerwippen im Spieltisch). Zahlreiche Nebenwindladen versorgen ausgeführte große Basspfeifen und auch die großen Prospektpfeifen, damit diese auf kürzestem Weg Wind erhalten.

Die 4 Windmaschinen erzeugen zusammen pro Minute über 90 m³ Druckluft, den „Wind“. 16 Bälge speichern ihn und liefern ihn präzise so, wie er vom Organisten für das Spiel benötigt wird. Drosseln differenzieren die Winddrücke für jedes Teilwerk. Die Orgelwinddrücke sind vergleichsweise niedrig, etwa wie bei einer Blockflöte: 80 bis 95, vereinzelt bis 130 mm Wassersäule. Nur die Hochdruckmaschine liefert bis zu 500 mm Wassersäule. Alle zusammen ermöglichen eine großzügige Windversorgung, die auch dem Tutti aller 100 Register und 25 Koppeln nie den Atem ausgehen lässt.

Die 100 Register sind mit 6.613 Pfeifen und 37 Klangplatten besetzt. Fast alle Pfeifen stehen unsichtbar im inneren der beiden sichtbaren Orgelgehäuse bzw. im Fernwerk, nur die größten Zinnpfeifen sind im Prospekt sichtbar. In der Hauptorgel sind dies 63 Pfeifen der Principale 16‘ und 8‘ des Hauptwerks und Principal 8‘ des Oberwerks; in der Chororgel sind es 39 Pfeifen des Salicional 16‘. Die Prospektpfeifen sind aus besonders hochprozentiger Zinnlegierung und außerdem fein poliert.

Für 5 der Pedalregister mit ihren großen Basspfeifen nutzen wir eine technische Besonderheit, um die platzraubenden kostenintensiven Pfeifen doppelt zu nutzen: Über Extensionen werden sie von einem weiteren, klanggleichen Register oktavversetzt angespielt; das weitere Register benötigt dann nur noch 12 zusätzliche Basspfeifen (statt 30). Auch für die Clarinette 8‘ nutzen wir das Prinzip und erweitern so ihr Klangspektrum um die 16‘-Lage.

Die Pfeifen sind zum allergrößten Teil aus Zinn mit Zusätzen von Blei (wofür dem seit vielen Jahrhunderten bestehenden Orgelbau nach jahrelangem Streit erst 2017 endlich die Sondergenehmigung der EU erteilt wurde…) und mit Spuren von Kupfer, Wismut und Antimon, die für die Stabilität wichtig sind. Besonders hochwertige, 88%ige Legierungen besitzen die sichtbaren Prospektpfeifen in den beiden Gehäusen. Die Innenpfeifen sind teils aus 75%igen, 50%igen und vereinzelt nur 30%igen Legierungen – je nach gewünschtem Klangcharakter (mehr Zinn begünstigt sonore, klare, zeichnende bis streichend oder scharfe Klänge, weniger Zinn fördert weiche, flötige, dunkle Klänge). Für 172 ausgewählte große Basspfeifen der Register mit streichendem Charakter haben wir Zink gewählt, dass diese Klangfarbe und zugleich die Stabilität begünstigt. Schließlich gibt es 414 Holzpfeifen – sie bilden vor allem charmante, ausdruckstarke Flötentöne sowie die dunklen und profunden Basstöne. Die Holzpfeifen wurden aus langjährig abgelagerten und ausgesuchten einheimischen Hölzern hergestellt, insbesondere Fichte und die kleinen Pfeifen aus Birnbaum.

Die Pfeifen teilen sich in zwei Bauformen auf: 77 Register haben Labialpfeifen, die wie eine Blockflöte funktionieren (die einströmende Luft bricht sich an dem sichtbaren Öffnung, dem Labium, und bringt die Luftsäule im Pfeifenkörper zum periodischen Schwingen – je kürzer die Pfeife, desto kürzer die entstehende Schallwelle, und desto höher die Frequenz und somit der Ton). Die übrigen 22 Register sind Zungenregister, bei der der Ton durch eine vibrierende Messingzunge erzeugt wird, die vom Wind zum Schwingen gebracht wird. Sie besitzen auch Pfeifenkörper (Schallbecher), die jedoch Farbe und Stärke der Klänge formen. Eine Besonderheit ist die Clarinette, deren Zungen in einem Rahmen frei hindurchschwingen (wie bei der Harmonika) und einen sehr natürlichen Clarinettenklang erzeugen – wie auch die übrigen Zungenregister Orchesterblasinstrumente nachahmen (Trompete, Fagott, Cromorne, Hautbois, Oboe, Posaune, Cor anglais, Tuba…), mit Ausnahme der Vox humana, der Menschenstimme: diese besondere Bauform kennzeichnet eine besonders ausdrucksvolle Klangfarbe, die als Solist gut hervortritt – wie der Mensch als Solosänger in Begleitung der Orgel – ohne natürlich wie eine echte Menschenstimme klingen zu können. Das 100. Register, die Celesta, hat keine Pfeifen, sondern Klangplatten, die mit Hämmerchen angeschlagen werden (ebenfalls elektrisch).

Die Orgel hat einen sehr großen Tonumfang: Er beginnt beim Sub-Kontra-C mit 16 Hz (diesen Ton haben die zwei 32‘-Register der neuen Orgel) und endet bei fast 9.400 Hz (diesen Ton hat das d‘‘‘ der Sifflöte 1‘, dem kleinsten Register). Die längsten Becher der Contraposaune 32‘ sind fast 9 Meter lang (und teilweise posthornartig gekröpft, um nicht über das Gehäuse zu ragen), die kleinsten knapp 1 cm (gemessen wird ab dem Labium aufwärts). Die Register in der Kennzeichnung 8‘ (8 Fuß, 1 Fuß = ca. 30 cm) erklingen über die Klaviatur ungefähr im Umfang der menschlichen Singstimme; 16‘-Register sind doppelt so lange Pfeifen und klingen eine Oktave tiefer, während 4‘-Register halb so lange Pfeifen haben, die eine Oktave höher klingen, und 2‘-Register klingen dementsprechend zwei Oktaven höher. In den gemischten Registern, die mit je 2 bis 5 Pfeifen pro Ton besetzt sind, erklingen vor allem solche höheren Pfeifen in bestimmten Kombinationen. Sie bilden die Klangkronen der Orgel. Der Organist kann also zum Einen gleich hohe Register mit verschiedenen Klangfarben zusammen mischen, und/oder verschieden hohe Register, die den Klang aufhellen bzw. eindunkeln – oder beides zusammen. Seiner Fantasie sind bei 100 Registern und all den Koppeln, Tremulanten, Schwellwerken (fast) keine Grenzen gesetzt! Nur die Tuba sonora 8‘ verdient eine besondere Behandlung: Mit ihrem raumfüllenden, majestätischen Klang ist sie ein echter Individualist, ein Soloregister – und gehört nicht ins Tutti.

Der Klang ist die Sprache der Orgel. Sprachen sind verschieden – so sind es auch Orgelklänge. Sie können nicht nur gänzlich anders sein, sondern auch nuancieren und feine Charaktere aufweisen – wie Dialekte von Regionen und Sprachgewohnheiten einzelner Menschen. Auch Orgeln haben im Laufe der Geschichte in den verschiedenen Ländern und Regionen unterschiedliche Klangstile entwickelt, die sich außerdem mit den Stilepochen im Laufe der Zeit jeweils veränderten und der aktuellen Musikstilen anpassten. Historische Orgeln bewundern wir heute, weil sie einen dieser Charaktere und Stile in Reinstform aufweisen. An modernen Orgeln hingegen möchte man stilistisch vielseitig sein – man möchte Bach und barocke Musik spielen, ebenso Romantik und Symphonik, aber auch moderne Musik, Improvisation und nicht zuletzt Begleitungen der Gemeinde und von Musikern in großer Vielfalt ermöglichen. Manche Orgeln versuchen deshalb, universal zu klingen – durch Nebeneinanderstellen von Klangfarben aller Regionen und Stilrichtungen. Doch je vielseitiger die Auswahl wird, desto weiter driftet das Klanggefüge auseinander – die Orgel wird beliebig und verliert ihren Charakter. Sie kann alles ein bisschen – aber nichts mehr richtig gut.

Die neue Eule-Orgel will Vielseitigkeit ermöglichen, indem sie sich aus einer bestimmten Auswahl an wichtigen, zueinander passenden bzw. aufeinander aufbauenden Stilrichtungen inspirieren lässt. So vermeidet sie die Beliebigkeit einer rein universalen Orgel. Die neue Orgel erhält vielmehr einen eigenen, individuellen Charakter, der sie einzigartig macht und von anderen Orgeln der Umgebung abhebt und unterscheidet.

Wir haben unser Klangspektrum daher beginnen lassen mit der Klangwelt des mitteldeutschen Hochbarock – der Zeit J. S. Bachs und solch genialer Orgelbauer wie Gottfried Silbermann, Zacharias Hildebrandt und Tobias Heinrich Gottfried Trost, deren Orgeln wir in den vergangenen Jahrzehnten bei Restaurierungen eingängig studieren konnten. Hauptwerk und Oberwerk sowie Pedal der Hauptorgel, aber auch das Hauptwerk der Chororgel sind von dieser Klangwelt besonders geprägt: silbrige strahlende Plena, schlanke Flöten, farbige Soloregistrierungen, klare durchsichtige Klangmischungen für Solo- und Triospiel und zeichnende Zungenstimmen sind dafür charakteristisch – aber auch schon die Gravität des vollen Werkes.

Fortgeführt haben wir diese Klangwelt mit der Hochromantik ab Mitte des 19. Jahrhunderts, wie sie besonders von Friedrich Ladegast von Mitteldeutschland aus ausstrahlte. Er entwickelte die fast stufenlose Dynamik aller Register weiter – von ganz zarten Flöten und Streichern, wie sie im Echo-Schwellwerk, im Schwellwerk der Chororgel und im Fernwerk stehen, zu farbintensiven volltönenden Principalen und Grundstimmen, die den Klang großvolumig und dunkel einfärben, bis zum brausenden Tutti der Orgel mit den langbechrigen Zungen und tiefen Bässen – dazu die Dynamik der Pfeifen, die in Schwellwerken stehen. Seine Spezialität sind die besonders ausdrucksvollen durchschlagenden Zungenregister Aeoline 16‘ und Clarinette.

Dieser Klanggruppe gehören auch die 8 historischen Register von Maerz von 1898 an, die in die Hauptorgel zurückgekehrt sind:

• Amorosa 8‘ im I. Manual c°-f‘‘‘
• Gemshorn 4‘ im I. Manual C-f‘‘ (war 1898 8‘, tiefe Oktave 1967 verloren)
• Rohrflöte 8‘ im II. Manual c°-c‘‘ (war 1898 4‘, Diskant 1967 verloren)
• Octave 4‘ im II. Manual C-f‘‘‘ (vollständig erhalten, 1898 im I. Manual)
• Progressio 3-5fach im III. Manual (1898 Mixtur des II. Manuals, 165 Pfeifen)
• Tibia 8‘ im IV. Manual c‘-f‘‘‘ (1898 im II. Manual)
• Salicet 4‘ im IV. Manual C-f’’ (war 1898 8‘, tiefe Oktave 1967 verloren)
• Flauto traverso 4’ im IV. Manual C-f‘‘‘ (vollständig erhalten)

Das Klangspektrum der Romantik führen wir aber über Mitteldeutschland hinaus: Zum Einen nach Frankreich, wo es zeitgleich eine eigenständige musikalische Entwicklung gab, die der Orgel die Symphonik des Orchesters zu eigen machte. Das Récit im III. Manual der Hauptorgel enthält diese Klangfarben, ganz besonders prägend die überblasenden, leuchtenden Flöten und der prächtige, brillante Zungenchor. Zum Anderen in die absolut letzte Phase der Spätromantik im 1. Viertel des 20. Jahrhunderts, die in England und Amerika ihre Blüte erlebte: scharfe, chorisch ausgebaute Streicher im III. Manual und ganz besonders die solistischen Hochdruckregister des Solowerks: das täuschen natürliche French Horn, die fast pompöse Flöte Melodia 8‘ und die alles überkrönende solistische Tuba sonora mit ihrem majestätischen Klang. Auch die Celesta ist aus diesem Kulturkreis inspiriert.

Diese reiche Klangbesetzung bietet auch dem modernen Organisten schier unendliche Möglichkeiten, zu improvisieren, zu begleiten, und solistisch zu spielen – man kann immer wieder neue Klangfarben kombinieren und entdecken, sie dynamisch variieren, und – als Besonderheit in Straubing – die Raumklangwirkung der 3 Teilwerke der Orgel ausnutzen. Für den Hörer spannend wird das „Orten“ der Teilwerke sein – und die Entdeckung, wie verschieden sie von verschiedenen Plätzen in der Kirche klingen können.

Die Orgel wurde im heutigen Stimmton von a‘ = 440 Hz bei 15° C eingestimmt. Die Stimmungsart ist gleichschwebend, wie es für die vielseitige Stilistik sinnvoll ist.

Die Kunst, den Pfeifen jeweils ihren individuellen Klang zu geben und alle Pfeifen und Register so aufeinander abzustimmen, dass ein vielseitiger, mischungsfähiger und zugleich ausdrucksstarker und charaktervoller Orgelklang entsteht, der nicht zuletzt angemessen und ausgewogen im Kirchenraum klingt, ist die abschließende und zugleich wichtigste klanggestaltende Tätigkeit des Orgelbauers. Es ist die klangliche Seele, die die Intonateure mit ihrem musikalischen Feingefühl den Pfeifen und der Orgel einhauchen. Die vielfältigen Klangfarben der Orgel sollen sich untereinander gut mischen und zu einem gemeinsamen Klangbild verschmelzen; aber auch die drei Teilwerke der Orgel sollen miteinander harmonieren.

Bei der Intonation erhält jede einzelne der 6.613 Pfeifen ihren individuellen Klang. Alle Pfeifen wurden zunächst in der Werkstatt gleichmäßig vorintoniert. Die endgültige Intonation erfolgte aber erst in St. Jakob in Straubing, wo jedes Register auf den Klang im Raum angepasst wurde. Diese Arbeit dauerte etliche Monate an und erfordert viel Zeit und handwerkliches Können, aber vor allem sensible und erfahrene Intonateure, die die musikalische und künstlerische Vision des Klanges, wie ihn sich die Planer der Orgel vorgestellt haben, zum Klingen bringen können.