Zwickau-Planitz, ev. Lukaskirche – Walcker Orgel

RestaurierungZwickau-Planitz, ev. Lukaskirche – Walcker Orgel

Erbaut 1876, Eberhard Friedrich Walcker // Restauriert 2019-2021, Hermann Eule Orgelbau

  • Zwickau-Planitz
  • 2019 - 2021
  • Restaurierung

Auszug aus: „Weihe der Walcker-Orgel in der Lukaskirche Zwickau-Planitz am 01.Mai 2022“

Die Walcker-Orgel von 1876 in der Ev. Lukaskirche
Zwickau-Planitz – eine Biografie

Schon 1867 stiftete die Patronatsherrschaft 450 Taler für eine neue Orgel. Am 25.11.1873 reichte die Firma Walcker ihr Kostenangebot ein. Der Vertrag mit einer etwas reduzierten Größe für 5.850 Taler wurde schon wenige Tage danach abgeschlossen. Im Sommer 1875 beauftragte man Walcker, auch das Gehäuse nach dem Entwurf des Kirchenarchitekten G. L. Möckel für 2.400 Taler zu bauen.
Die Orgel wurde mit der Werknummer 296 der Firma Walcker erbaut und wohl zusammen mit der Kirche am 16.10.1876 eingeweiht. Sie wurde fast genau nach Vertrag gebaut, nur Dolce 8‘ und Aeoline 8‘ wurden gegenseitig ausgetauscht und zusätzliche die Pfeife c° des Principal 16‘ aus Zinn statt Holz gebaut.
1895 erfolgte eine Ausreinigung und Nachstimmung durch Walcker. […]

1964 bis 1967 bestand ein Pflegevertrag mit unserer Werkstatt. Die letzte Durchsicht erfolgte sogar noch 1970 nach der offiziellen Außerdienstnahme der Kirche.
1971 begann man eine Verwendung für die Orgel zu suchen. Umsetzungen in andere Kirchen zerschlugen sich. 1975 schrieb OSV Günter Metz: „Da sich keine Möglichkeit einer Umsetzung abzeichnet, schlage ich erneut Aufgabe einer Anzeige, bei negativem Ausgang … Ausschlachtung der Orgel vor.“
1976 verkaufte […]

2019 fanden wir in der Orgel nur noch 22 größere Holzpfeifen aus vier Registern und sieben Posaunenbecher vor. Dazu die Windladen, einzelne Windkanalteile, die Bälge (ohne die Stoßbälge), den Motor (ohne seinen Vorbalg) und das Gehäuse, an dem viele Zierteile und Füllungen fehlten oder durch Vandalismus beschädigt waren – alles mit einer dicken Schmutzschicht bedeckt. Die leeren Prospektfelder hatten Theatermaler mit Pfeifenbildern bemalt. […]

[Wir nahmen uns der herausfordernden Restauration aus drei Gründen an:] Die Lukaskirche wird seit der Wende wieder mit Leben gefüllt, zunehmend intensiver genutzt, die Gemeinde wächst und braucht ihre Kirche, die inzwischen schrittweise restauriert wird; eine gute Kirchenmusikerin steht bereit. Sie alle brauchen auch wieder eine adäquate Orgel – die Walcker-Orgel.
Die Walcker-Orgel von 1876 bildet mit der architektonisch sehr aufwändigen und bedeutenden Kirche eine stilistische Einheit, die weit überregionale Bedeutung hat und ein in vielen Teilen authentisches und erhaltenswertes Denk-mal ihrer Zeit ist. Sie hat nicht umsonst umfangreiche Fördermittel aus dem Bundesprogramm zur Erhaltung national bedeutender historischer Orgeln erhalten.
Von den zahlreichen Orgeln der Weltfirma Walcker sind in Sachsen nur noch 5 erhalten. Die Zwickauer ist nicht die größte, wird aber nach Annaberg die zweitgrößte originale Orgel sein. Da aus dieser Zeit von Walckers enormen Schaffen auch andernorts wenig erhalten ist, wird die restaurierte Orgel durchaus deutschlandweite Bedeutung als Zeugnis des hochromantischen Orgelbaus bekommen.

Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man die Planitzer Walcker-Orgel als Meilenstein sächsischer Orgelbau-geschichte betrachtet. Einen Meilenstein, der uns auch heute noch eine Klangwelt von faszinierender Schönheit, Farbigkeit, Dynamik und Leidenschaft erschließt; eine Klangwelt, die auch für heutige musikalische Bedürfnisse und Nutzungen einen vollgültigen musikalischen Reichtum und technische Vollendung bietet.

Jiří Kocourek

 

Walcker-Orgel ev. Lukaskirche, Zwickau-Planitz

 

I. Hauptwerk (C-f3)

Ged. Pommer 16′ *
Prinzipal 8′
Bourdon 8′
Quintade 8′ *
Dolce 8′
Oktave 4′
Spitzflöte 4′ *
Nasard 2 2/3′ *
Octave 2′
Blockflöte 2′ *
Quinte 1 1/3′ *
Zink 4fach ab c′ *
Mixtur 5fach *
Zimbel 2fach *
Trompete 8′

 

II. Hinterwerk

Gemshorn 8′ *
Liebl. Gedackt 8′
Principal 4′
Rohrflöte 4′ *
Octave 2′ *
Sifflet 1′ *
Sesquialter 2fach *
Scharf 4fach *

 

Pedal (C-d1)

Prinzipalbass 16′
Subbass 16′
Oktavbass 8′
Choralbass 4′
Nachthorn 2′ *
Ped.-Mixtur 5fach *
Posaunenbass 16′
Trompetenbass 8′

(* = Register mit neuen Registerschildern)

 

4 Kollektive

Manual-, Pedalkoppel

Stimmton: von 1858 mit 435 Hz bei 15° C

Winddruck: 76 mmWS

 

Auszug aus: „Weihe der Walcker-Orgel in der Lukaskirche Zwickau-Planitz am 01.Mai 2022“

Die Restaurierung der Walcker-Orgel 2019-2021

Es war ein vergleichsweise schnelles Restaurierungs-projekt: nicht einmal 3 Jahre liegen zwischen der Aus-schreibung vom 15.12.2018 von Herrn Orgelsach-verständigen Norbert Ranft-Knopfe aus Meerane, der Auftragserteilung am 2.8.2019 und der Wiedereinweihung am 14.11.2021. […] Im September 2019 wurden die noch vorhandenen Orgelteile in Zwickau ausgebaut und in unsere Werkstatt gebracht. Danach konnte der Putz über und in der Orgel-kammer saniert werden. Es folgte die Restaurierung des Orgelgehäuses, bei der die vielen fehlenden Zierteile (Friese, Fialen), Türen und Füllungen originalgetreu durch Restaurator Hans-Jörg Brasche und Firma GSK Möbelbau, Herr Simon, restauriert wurden. Die Elektrik und Beleuchtung wurden erneuert.
Die Kirchgemeinde und der Förderverein mit Herrn Püschmann initiierten eine Suche nach den fehlenden Pfeifen der Orgel (er steuerte selbst die ersten 4 großen Dolce-Pfeifen bei). Viele Zwickauer spendeten Pfeifen zurück, die sie vor Jahrzehnten gegen Spenden für die Schlosskirchenorgel erworben hatten; einige Pfeifen wurden von der Ev. Kirchgemeinde Waldenburg zurückgegeben bzw. von Orgelbaumeister Wünning zurückerworben. Orgelbaumeister Reinhold gab die Orgelbank zurück. Einer unserer Orgelbauer, der 1963 beim Umbau der Orgel mitgewirkt hatte, brachte 7 Becher der seltenen Oboe.

[2 Jahre währte die Restaurierung. Zuerst wurden Gehäuse und die übrigen Orgelteile genau vermessen und auf dieser Basis die Detailkonstruktionen der zu rekonstruierenden Teile ausgearbeitet. Die erhaltenen, stark verschmutzten Originalteile wurden zerlegt und gründlich gereinigt. Geringer Holzwurmbefall wurde prophylaktisch behandelt, Schimmelbefall war erfreulicherweise nicht vorhanden.]

Jiří Kocourek

 

Restaurationsvorgang

 

Auszug aus: „Weihe der Walcker-Orgel in der Lukaskirche Zwickau-Planitz am 01.Mai 2022“

Die Restaurierung der Walcker-Orgel 2019-2021

[..] Die erhaltenen, stark verschmutzten Originalteile wurden zerlegt und gründlich gereinigt. Geringer Holzwurmbefall wurde prophylaktisch behandelt, Schimmelbefall war erfreulicherweise nicht vorhanden.
Das Tragwerk im Inneren der Orgel wurde instandgesetzt. Es fehlten 6 Stützen und mussten ersetzt werden, ebenso mehrere fehlende Laufböden und die Leitern zur 1. und 2. Ebene. Die erhalten gebliebenen Laufböden wurden stabilisiert und Geländer ergänzt.
Besonders diffizil war die Rekonstruktion des nicht erhaltenen Spieltischs vor der Orgel: es stand nur ein sehr unscharfes Foto von 1941 zur Verfügung. Erst nachdem die gesamte Konstruktion fertig war, konnte eine deutlich schärfere Version des Fotos gefunden werden – viel Doppel-arbeit entstand, um die neuen Details einzuarbeiten. Umso authentischer erscheint nun der aufwändig gestaltete Spieltisch wieder exakt wie 1876. Die Bildschnitzerarbeiten führte Stephan Thürmer aus Dresden aus. Für das Spieltischinnere konnte der in den 1990ern aus Bernsdorf in unser Lager abgegebene originale Koppelapparat restauriert werden. Er gab wesentliche Anhaltspunkte für die fehlenden, zu rekonstruierenden Teile. Eine dezente, aber wirksame Beleuchtung wurde installiert. Die Orgelbank wurde nach den erhaltenen, aber zu stark umgebauten Originalteilen rekonstruiert. Das rekonstruierte Spieltischpodest nimmt in seinem Inneren die mechanischen Trakturverbindungen in die Orgel auf (167 Stück).
Die Balganlage sollte im Zustand von 1909 restauriert werden. Die 3 erhaltenen Kastenbälge von 1876 wurden daher nur konserviert. Die Windversorgung übernimmt der riesige doppelfaltige Magazinbalg (1,4 m x 3,0 m) von 1909. Er wurde komplett zerlegt, neu verflechst und beledert. Der unikate historische Motor und Ventilator von 1909 in der Kammer unter der Turmtreppe hinter der Orgel wurden durch die Firma Schuster in Planitz instandgesetzt. Der fehlende Vorbalg, die Winddrossel und der Anbindungskanal wurden nachgebaut und ein Ansaugkanal ins Orgelinnere ergänzt. Die erhaltenen Windkanalstücke wurden restauriert und wieder eingebaut, die fehlenden Stücke (insg. fast 8 m) rekonstruiert. Die 2 fehlenden Federstoßbälge der Manuale wurden in der typischen Walcker-Bauweise mit Holzfeder rekonstruiert. Der Winddruck, der für die gesamte Orgel einheitlich ist, wurde auf 76 mmWS eingestellt. Das Herzstück der Orgel sind die 12 hochkomplexen Windladen (in den Manualen jeweils Ober- und Unterladen, im Pedal Vorder- und Hinterlade, alle C-Cs-geteilt). In ihnen wird mit den Ton- und den Registerventilen, die der Organist am Spieltisch bedient, die Luft (Wind) aus den Bälgen auf jede einzelne Pfeife verteilt. Dazu gibt es 1.451 Kegelventile und unzählige Mechanikteile. Diese waren zwar erhalten, jedoch die Messingteile sehr stark oxydiert und die Lederteile verhärtet. Die umfassende Restaurierung der Windladen mit Zerlegung, originalgetreuer Erneuerung der Leder- und Messingteile und Zusammenbau war daher einer der aufwändigsten Arbeitsschritte. Rekonstruiert wurde auch die Windreduktion der Oboe 8‘.
Ebenso aufwändig war die Rekonstruktion der Trakturen. Von den Spieltrakturen war nichts erhalten – nur die Spuren der Wellenbretter an den Stellagen. Sie wurden vollständig in der sehr qualitätvollen Bauweise Walckers rekonstruiert. Additiv eingefügt wurde für das groß besetzte Hauptwerk eine Barkermaschine, ebenfalls in der Bauweise Walckers, um die Spielart zu erleichtern, die schon 1909 als zu schwer kritisiert wurde. Die Registertrakturen wurden unter Einbeziehung der geringen Reste (insgesamt 6 kleine Wellenbrettchen, -rahmen und Winkelleisten) ebenfalls originalgetreu rekonstruiert.
Vom Pfeifenwerk fanden wir in der Orgel nur noch 22 Holzpfeifen und 7 Posaunenbecher vor. Durch die Rückgabe-aktionen kamen insgesamt 360 Pfeifen zusammen – 20% des ursprünglichen Pfeifenbestandes. Nach genauer Prüfung konnten wir diese nicht weniger als 16 der 31 Register zuordnen! Die Originalpfeifen wurden restauriert, alle fehlenden 1.435 Pfeifen wurden detailgetreu nach den erhaltenen Vorlagen sowie zeitnahen Vorbildern von Walcker rekonstruiert. Für die 33 Prospektpfeifen bot ein scharfgestochenes Foto, kurz nach der Erbauung angefertigt, eine gute Vorlage. Die weitgehend erhaltenen Stöcke wurden restauriert, während die Raster zumeist rekonstruiert werden mussten. Die hohe Komplexität der Rekonstruktionsarbeiten erforderte eine Montage in 2 Schritten. Zunächst wurde die gesamte technische Anlage der Orgel in unserem Montagesaal aufgebaut, um Funktion und Vollständigkeit zu testen. Anschließend erfolge ab 9.8.2021 der Einbau in der Kirche mit Montage sämtlicher Teile. Als deren Abschluss erfolgte die Feinregulierung aller Teile der Ton- und Registertraktur und aller Kegelventile.
Den wichtigsten Arbeitsschritt stellte die abschließende Intonation dar. Sie ist entscheidend für das Gelingen der Restaurierung, gibt sie doch den Pfeifen erst den authentischen, aber durch die Umbauten verlorenen oder veränderten Originalklang von Walcker 1876 wieder. Diese Arbeit haben wir daher mit viel Zeitaufwand von je 2 Intonateuren in zwei Phasen ausgeführt: zuerst eine Vorintonation in der Werkstatt, bei der der typische Walcker-Klang gewonnen wird, dann die Hauptintonation in der Kirche, die auch die Klangwirkung im Raum berücksichtigt. Abschließend erfolgte die Generalstimmung gleichschwebend. Der originale Stimmton wurde auf Wunsch der Gemeinde etwas angehoben auf 438 Hz bei 15° C, um das Zusammenspiel mit modernen Orchestern zu erleichtern.

Jiří Kocourek

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