Rastenberg, Coudray-Kirche, Johann Friedrich Schulze Orgel von 1826

RestaurierungRastenberg, Coudray-Kirche, Johann Friedrich Schulze Orgel von 1826

Erbaut 1826, Johann Friedrich Schulze // Restauriert 2023, Hermann Eule Orgelbau

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Die frühromantische Schulze-Orgel in der Coudray-Kirche zu Rastenberg

1826 erbaute Johann Friedrich Schulze (1793-1858) aus Paulinzella eine neue Orgel für die nach einem Stadtbrand wiederaufgebaute Stadtkirche. Es ist die erste in Zusammenarbeit mit dem bedeutenden Orgelbautheoretiker Prof. Johann Gottlob Töpfer vollständig neu gebaute Orgel. Sie ist zugleich richtungsweisend für die technischen und klanglichen Neuerungen, mit denen Schulze den Weg zu den musikalischen Ausdrucksmitteln der Romantik eröffnet. Kennzeichnend sind ein großer, monumentaler Klang des vollen Werkes sowie die dynamische Differenzierung bis zu den sanften, fein ausdifferenzierten Charakterstimmen. Der neue Stil wird durch die Technik unterstützt: geräumige Windladen mit hängenden Ventilen und eine großvolumige Balganlage mit 3 übergroßen Keilbälgen und konischen Windkanälen. Auch architektonisch zeigt die Orgel in dem imposanten, rein klassizistischen Gehäuse ihre Modernität. Geschaffen wurde es nach einem Entwurf des Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray und war Prototyp für zahlreiche folgende Prospekte der Schulze-Schule bis Mitte der 1840er Jahre.

Die Orgel hat 25 Register auf 2 Manualen und Pedal mit mechanischen Schleifladen. Sie wurde kaum verändert, neben den Prospektpfeifen gingen nur 2 Register weitgehend verloren. Ihre hohe Authentizität sowie ihre unikate Stellung in der Entwicklung der Werkstatt Schulze und des romantischen Orgelbaus in Thüringen waren Grund für die denkmalgerechte und originalgetreue Restaurierung durch die Bautzener Orgelbauwerkstatt Eule, die im Mai 2023 eingeweiht wurde.

 

Foto: Frank Koch, Rastenberg

 

 

 

 

Disposition der Johann-Friedrich-Schulze-Orgel in der Coudray-Kirche zu Rastenberg, II+P/25

 

I. Hauptwerk (C-f′′′)

Principal 16′
Principal 8′
Viol di Gambe 8′
Hohlfloete 8′
Gemshorn 8′
Octave 4′
Floete 4′
Octave 2′
Mixtur 6fach
Cornett 4fach ab g°

II. Oberwerk

Bordun 16′
Geigen-Principal 8′
Floetraversa 8′
Salcional 8′
Liebl. Gedact 8′
Praestant 4′
Flauto dulcis 4′
Octave 2′
Scharff 5fach

Pedal (C-d)

Principalbass 16′
Violon 16′
Subbaß 16′
Principalbass 8′
Violon 8′
Posaune 16′

Manualkoppel, Pedalkoppeln I

Calcantenzug

Chortonstimmung

Linearantrieb in Vorbereitung

 

Ein Meilenstein des romantischen Orgelbaus: Die Restaurierung der Johann-Friedrich-Schulze-Orgel von 1827 in der Coudray-Kirche zu Rastenberg, Jiri Kocourek

Johann (Christoph) Friedrich Schulze (1793 – 1858) entstammt in 5. Generation einer bedeutenden Thüringer Orgelbauerfamilie, die zunächst in Solsdorf, seit etwa Mitte des 18. Jahrhunderts in Milbitz bei Rottenbach ansässig war. 1826 verlegte Johann Friedrich Schulze die Werkstatt nach Paulinzella, wo sie bis zu ihrer Auflösung 1879 bestand.

Johann Friedrich Schulze begann seine Orgelbautätigkeit mit der Vollendung der Orgel seines Lehrmeisters Johann Benjamin Witzmann in Trassdorf 1814. Eine frühe Berühmtheit verschaffte ihm sein Umbau der Trampeli-Orgel (1812) in der Weimarer Stadtkirche 1824-26 in Zusammenarbeit mit Johann Gottlob Töpfer, dem bedeutenden Orgelbautheoretiker und Sachverständigen. Hier realisierten beide ein neues klangliches Konzept, das die volltönende, grundtönige, dynamisch ausdifferenzierte Orgel der Hochromantik visionär zum Ziel hatte. Direkt danach baute Schulze 1827 die Rastenberger Orgel, die das früheste erhaltene Beispiel dieses neuartigen Klangideals ist.

Mit diesem neuen Klang begeisterte Schulze seine Zeitgenossen. Rasch erhielt er in der Folge große Aufträge: 1838 Halberstädter Dom (als Umbau) als erste viermanualige Großorgel mit 65 Registern, 1841 Wismar, St. Marien, mit 58 Registern, 1849 Bremer Dom, gleich groß und 1854 in Lübeck, St. Marien, eine der größten damaligen Orgeln mit 80 Registern und Barkermaschine. Schulze stand damit auf der Höhe der Zeit zusammen mit Fr. Ladegast, E. Fr. Walcker und A. Reubke.

Mit dem Bau einer Orgel auf der Weltausstellung in London 1851 begann eine Reihe von Orgelexporten nach England – vor allem unter seinen Söhnen (die größte 1862 mit 94 Registern für Doncaster). Schulzes Orgelbaustil beeinflusste den englischen Orgelbau bis in das 1. Drittel des 20. Jahrhunderts! Schulze-Orgeln gingen außerdem nach ganz Mittel- und Norddeutschland, ins Baltikum, USA, Russland; einzelne Exportaufträge nach Nord- und Südamerika, Dänemark und Italien.

Johann Friedrich Schulze gehört zu den außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des deutschen Orgelbaus im 2. Viertel des 19. Jahrhunderts. Er darf mit Recht neben E. Fr. Walcker als einer der beiden führenden Orgelbauer dieser Zeit gelten. Er hat maßgeblich zur Entwicklung und Ausprägung des Klangideals der deutschen hochromantischen Orgel beigetragen. Seine stilprägenden Orgelbauten bereiteten den Weg für die großen Leistungen Friedrich Ladegasts und Wilhelm Sauers nach 1850 und natürlich für das Schaffen seiner Söhne.

Seine außerordentliche Bedeutung resultiert auch aus seinem wesentlichen Beitrag zu Töpfers Orgelbautheorien, die in dessen berühmten Lehrbüchern weite Verbreitung fanden. Viele Schüler gründeten eigene, teils bedeutende Werkstätten. Die wichtigsten sind Julius Strobel, Bad Frankenhausen; Friedrich Wilhelm Winzer, Wismar; August und Louis Witzmann, Stadtilm, Wilhelm Heerwagen, Klosterhäseler; Friedrich August Mehmel, Stralsund; Carl Giesecke, Göttingen; Nicolaus Schrickel, Eilenburg; vermutlich auch Friedrich Knauf, Großtabarz.

Die Rastenberger Orgel wurde nach einem Stadt- und Kirchenbrand 1824 in der vom Weimarer Hofarchitekten Clemens Wenzeslaus Coudray geplanten Kirche eingebaut. Coudray entwarf auch das monumentale und trotz der einfarbigen Fassung prachtvolle klassizistische Gehäuse. Orgelsachberater war J. G. Töpfer, der sich mehrfach schriftlich und in Besprechungen vor Ort einbrachte und die Orgel auch am 19.9.1827 abnahm.

25 Register sind auf 2 Manuale und Pedal verteilt. Die Orgel hat klassische mechanische Schleifladen mit der für Schulze typischen robusten Bauweise mit nur aufgelegten, durch kleine Holznägel in der Position fixierten Stöcken. Bemerkenswert sind die hängenden Ventile in vertikal angeordneten Windkästen an der Laden-Hinterseite beider Manuale mit einer horizontalen Stechertraktur, während das Pedal klassische Ventile hat, aber doppelt in zwei Windkästen vorn und hinten. Die Windversorgung übernehmen 3 große Keilbälge 12‘ x 6‘ direkt hinter der Orgel, mit konisch sich verjüngenden Windkanälen zu den Windladen hin.

Die besondere Bedeutung dieser Orgel liegt darin, dass es das früheste gemeinsam von Töpfer und Schulze konzipierte Werke ist, in dem beide ihre neuartigen Vorstellungen eines „romantischen“ Orgelklanges verwirklichten (nachdem von dem viel bekannteren Umbau in Weimar nichts erhalten ist).

Die Rastenberger Orgel erlitt im Laufe der Zeit nur geringe Eingriffe:

1889 Hermann Hildebrandt: Aeoline 8‘ anstatt Octave 2‘ Oberwerk, Ausbau der Posaune 16‘ bis auf die Stiefel

1901 Neubelederung der 3 Keilbälge durch denselben

1917 Ausbau der Prospektpfeifen und 1926 Zinkersatz (in anderen Abmessungen) durch Friedrich Wilhelm Böttcher, Weimar

1935 elektrischer Ventilator von Fa. Walcker, Ludwigsburg

Ab 1943 Reparaturen durch verschiedene Nicht-Orgelbauer, gelegentlich auch durch Orgelbaumeister Gustav Hildebrandt, dabei Trakturumhängung um 1 Halbton; infolge dieser Arbeiten erlitt die Orgel massive Schäden am Pfeifenwerk.

Dies, Verschmutzung und Verschließ verschlechterten den Zustand der Orgel zunehmend. 1991 stellte man ein Elektronium vor die Orgel und spielte sie kaum noch.

Schon 1986 begannen Überlegungen zu einer Reparatur. Schulze-Forscher Dr. Wolfram Hackel, Dresden, empfahl 1988 erstmals eine grundlegende Restaurierung. Ihre Realisierung brauchte 35 Jahre. Den Durchbruch brachte erst das Engagement eines Orgelfördervereins unter der energischen und beharrlichen Leitung von Udo Schneider seit 2010, der seine Kräfte mit denen der Gemeinde, Pfarrer und vieler Unterstützer aus Politik, Wirtschaft, Kirche, Hochschulen und Kultur vereinte. So konnte nicht nur die Orgel, sondern auch die gesamte Kirche und das Orgelgehäuse durch Fachrestauratoren originalgetreu restauriert werden.

2019-2023 wurde die Orgel durch Hermann Eule Orgelbau Bautzen restauriert. Ziel war eine detailgetreue, konsequente und zugleich schonende Restaurierung des Originalzustandes dieser bedeutenden Orgel. Rund 7.000 Arbeitsstunden wurden dafür aufgewendet. Die wichtigsten Arbeiten der denkmalgerechten Orgelrestaurierung waren:

– Demontage soweit wie nötig, gründliche Ausreinigung

– Restaurierung des Spielschranks in den Originalzustand

– behutsame, aber gründliche Restaurierung der Trakturen und Windladen, die zur Substanzschonung weitestgehend vor Ort ausgeführt wurde

– Neubelederung der 3 Keilbälge, Instandsetzung der Tretanlage mit Wiederherstellung der Aufstiegsstufen und Calcantenglocke

– Einbau einer Aufzugsanlage, die erstmals mit vertikal wirkenden Linearmotoren ausgestattet ist, mit Umschaltmöglichkeit zwischen den Betriebsarten

– aufwändige Restaurierung des teils erheblich beschädigten, verbogenen, teils abgesägten bzw. an den Mündungen aufgerissenen Pfeifenwerks, Rekonstruktion von 14 fehlenden kleinen Metallpfeifen

– Rekonstruktion der Prospektpfeifen Principal 8‘ C-g°, Praestant 4‘ C-ds‘ (nach einem Foto vor 1917 und den originalen Prospektrastern)

– Rekonstruktion der Octave 2‘ (nach Siebleben, Schulze 1827)

– Rekonstruktion der Posaune 16‘ in den erhaltenen Stiefeln (nach Kalbsrieth, Chr. Fr. Schaffberg 1823)

– ausgleichende Nachintonation gemäß dem Klang der restaurierten originalen Pfeifen auf offenen Füßen auf dem belegten Winddruck (30° = 70 mmWS) und Stimmton 476 Hz bei 15° C gleichstufig.

Parallel wurde durch Restauratoren die originale weiße Farbfassung des Gehäuses wiederhergestellt.

Die Orgel ist technisch zu 100% und im Pfeifenwerk zu 91% original. Die riesigen Keilbälge mit konischen Windkanälen liefern einen erstaunlich stabilen Wind selbst bei virtuosem vollen Werk – auch bei getretenem Wind. Unikat ist die Begeisterung der Gemeinde für das jetzt wieder mögliche Balgtreten – es gab sogar einen Balgtretplan… Die Traktur arbeitet trotz ihrer Robustheit präzise und in Relation zur Größe und Robustheit angenehm. Die hängenden Ventile in den Manualen entlasten das Trakturgewicht deutlich, das wird aber durch das größere Gewicht der Stecher etwas kompensiert.

Wiedergewonnen wurde der große, majestätische und würdevolle, aber zugleich äußerst ausdifferenzierte und dynamische hochromantische Klang von 1827, der diese Orgel von zeitgenössischen Orgeln deutlich abhebt und das Neuartige des Klanges hervorhebt. Die Plena beider Manuale klingen monumental und kraftvoll, durchaus noch mit spätbarocker Leuchtkraft und zugleich mit würdevoller Fülle; die Grundstimmen sehr charaktervoll. Für Gambe und Salcional ist typisch die die Grenzen auslotende Intonation ohne jegliche Bärte o.ä., die (wie mehrfach bereits von Zeitgenossen belegt) das Hinzuziehen von Hohlflöte oder Gedackt 8‘ erheischen, dafür aber einen ungemein markanten Streicherton haben. Die wunderschön gefühlvollen Flöten, teils mit den schulzetypischen schrägen Labien (bei Hohlfloete 8‘ und beiden 4‘-Flöten), faszinieren. Typisch für Schulze ist die Intonation auf völlig offenen Füßen; der Winddruck 30° war durch das Abnahmegutachten 1827 belegt. Bemerkenswert ist die Disposition, in der das Oberwerk quasi die dynamisch verkleinerte Abstufung zum Hauptwerk bildet, welches nur um das füllige Cornett größer ist, und die starke 16‘-Betonung mit nicht weniger als 6 von 25 Registern. Die von Töpfer optimierte Mixtur beginnt 4fach und geht über 6fach zu 5fach zurück mit 5 1/3‘ ab c‘, das Scharff ist 3-5fach mit 5 1/3‘ ab d‘. Ebenso Schulze-typisch ist der hohe Anteil von Holzpfeifen. Komplett aus Holz sind Hohlflöte 8‘, Floete 4‘, Bordun 16‘, Floetraversa 8‘, Liebl. Gedackt 8‘, Flauto dulcis 4‘ und alle Pedalregister (bei den 4‘-Flöten bis auf die höchsten Pfeifen); bei Principal 16‘ und den 8‘-Registern ist entweder die tiefe Oktave oder C-fs° aus Holz, ausgenommen Principal 8‘, der ab C im Prospekt steht. Die Legierung der Metallpfeifen ist relativ bleihaltig und massiv. Die bei Schulze häufigen Zusammenführungen im Bass finden sich zwischen Geigen-Principal und Salicional (C-H) sowie Floetraversa und Libel. Gedackt (C-fs°).

Interessant ist, dass durch die Archivalien belegt ist, dass Schulze (wie auch in Weimar) die Zungenregister nicht selbst baute, sondern von dem Orgel- und Instrumentenmacher Christian Friedrich Schaffberg aus Querfurt (1760-1830) zugeliefert wurden. Neben Detailbeschreibungen suchten wir die wenigen bekannten Orgeln auf und wurden in Kalbsrieth (1823) fündig – nach diesem Original wurde die Rastenberger Posaune nachgebaut, aufschlagend, mit Köpfen aus Linde, belederten Kehlen aus Pflaume und Bechern aus Nadelholz in Sextenlänge, eingefügt in die originalen Stiefel. Diese Posaune hat einen außergewöhnlich abgerundeten, grundtönigen Klang – fast orchestral.

Das sehr umfassende Festbuch „Nur eine Orgel“ mit detaillierten Darstellungen ist beim Orgelförderverein Coudray-Kirche Rastenberg e.V. erhältlich (www.orgelfoerderverein-rastenberg.de).