Ortrand, Evangelische Kirche St. Barbara, Turley-Orgel 1847

RestaurierungOrtrand, Evangelische Kirche St. Barbara, Turley-Orgel 1847

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Die Turley-Orgel von 1847

1846-1847 erbaute Orgelbaumeister Johann Friedrich Turley aus Brandenburg die sechste Orgel unserer Kirche, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Albert. Schon am 17.6.1846 schrieb J. Fr. Turley, er habe den Neubauauftrag in Ortrand übernommen. Dafür hatte er zwei Kostenanschläge mit 18 Registern für 1.200 Taler und mit 16 Registern für 1.000 Taler eingereicht. Für die Genehmigung durch die Regierungsbehörden reichte Turley am 24.10.1846 einen überarbeiteten, endgültigen Kostenanschlag ein, der am 6.11.1846 revidiert wurde. Kurz danach quittierte Turley die ersten Abschlagszahlungen. Bauherr war übrigens die Stadt Ortrand (Magistrat). Am 28.12.1846 bezeichnete sich Turley als „Orgelbaumeister, jetzt in Ortrand“. Ende Januar 1847 forderte die Königliche Regierung in Merseburg von Turley eine Prospektzeichnung nach, die „geschmackvoll und dem Baustyle der Kirche entsprechend“ sein sollte. Die Orgel kostete nun 1.120 Taler für die größere Variante – offenbar hatte man Turley nochmals heruntergehandelt. Um weitere Abschlagszahlungen abzusichern, half den Turleys sogar Friedrich Wilke, Orgelsachverständiger a.D., der viel mit den Turleys zusammengearbeitet hatte, mit einer Aktie der Rheinischen Eisenbahn im Wert von 250 Talern.

Am 16.10.1847 fand die Abnahme der neuen Orgel mit dem Sachverständigen, Pfarrer Brunner, Kantor Georg Traugott Hermann, 9 weiteren Herren und Turley statt. Am 17.10.1847 war der Weihegottesdienst und nachmittags 17 Uhr ein „Orgel- und Vocal-Concert“ an der neuen Orgel „nach erfolgter Einweihung“, wobei „für zweckmäßige Erleuchtung gesorgt werden wird.“ [1].

Die Turley-Orgel hatte 18 klingende Register auf 2 Manualen und Pedal, dazu Manual- und Pedalkoppel. Später, 1917, wurden nur 17 Register genannt: möglicherweise waren die Quinte 2 2/3‘ und Superoctave 2‘ auf einem gemeinsamen Registerzug gebaut worden (das behielt auch Voigt bei seinem Umbau 1919 so bei). Das Abnahmegutachten erwähnte nur wenige Details: „Nach der neuen, von H. Turley gemachten sehr zweckmäßigen Erfindung öffnen sich die Spielventile durch einen von oben auf das Ventil drückenden Stecher, und es sind daher weder die Pulpetenbeutelchen, noch die Messingblättchen angewendet worden.“ Es könnte sich um die Nachahmung einer Bauweise des führenden brandenburgischen Orgelbauers Carl August Buchholz handeln. Auch manche andere erhaltene Details sprechen dafür, dass die Gebr. Turley von dessen Stil beeinflusst waren. Die Traktur war mechanisch mit Schleifladen. 1907 wurden 4 Bälge erwähnt. Es bleibt unklar, ob es traditionelle Keil- oder modernere Kastenbälge waren, aber sie standen schon immer links neben der Orgel. Manual- und Pedalkoppel „können während des Stils angezogen“ werden. Die Posaune, das einzige namentlich erwähnte Register, „spricht schnell und kräftig“ an. Stimmton ist der Kammerton „und ist die vorschriftsmäßige Stimmgabel bereits dem hiesigen H. Cantor übergeben worden.“ Die Orgel war folglich wohl im preußischen bzw. Berliner Kammerton gestimmt. Die Farbfassung des Gehäuses schuf Maler Christian Abeken in Weiß mit etwas Goldfarbe und entspricht der 2023 restaurierten Fassung. Das Gutachten schließt: „Der Name Turley hat in der Orgelbaukunst einen guten Klang.“.

1851 reparierte Organist und Mädchenlehrer Haupt die Orgel an 2 Tagen. Mit der Orgel scheint man große Musik aufgeführt zu haben. Im Pfarrarchiv ist ein Notenband mit groß besetzten Kantaten von C. E. Kummer aus Langensalza aus den 1860er Jahren erhalten. Eine Bleistiftinschrift im Inneren erwähnt „gestimmt den 18. Aug. 80“ (1880). 1889 teilte Organist Gromanntz (?) mit, dass Orgelbauer Raspe krankheitshalber seit 2 Jahren die jährliche Wartung nicht mehr ausführen konnte (er starb 1892), und beantragte eine Reinigung und Wartung durch einen anderen Orgelbauer. 1890 reparierte vermutlich Theodor Nagel aus Großenhain die Orgel, denn mit ihm wurde 1891 für 5 Jahre ein Wartungsvertrag für 10 Mark pro Jahr abgeschlossen.

Ab 1889 sind auch die Verträge mit den Balgtretern im Pfarrarchiv erhalten. Die Jahresvergütung war anfangs jährlich 30 Mark und wurde regelmäßig erhöht bzw. angepasst, zuletzt 1930.

1902 führte Tischlermeister Ennie Zschischang (?) eine „Erweiterung des Orgelchores“ für 259,94 Mark aus. Vielleicht wurde dabei die Orgel mit einer braunen Eichenholz-Lasur neu gefasst, die noch an einigen Farbfehlstellen sichtbar war.

1907 baute Arno Voigt, Liebenwerda, einen neuen Magazinbalg 2,5 x 1,2 m mit 2 Schöpfbälgen, blau papiert, dazu 3 Regulatoren und 6 Meter Windkanal (unter Verwendung von 3 vorhandenen Metern), einschließlich einem neuen Balghaus. Die Arbeit kostete 479 Mark inclusive Nachintonation und Stimmung der gesamten Orgel.

1917 wurden die 49 Pfeifen im Prospekt der Orgel aus hochwertigem Zinn für den I. Weltkrieg ausgebaut. Ihr Gewicht betrug 76,3 kg.

Am 10.2.1918 beschädigte ein „Kirchen- und Orgelbrand“ Kirche und Orgel. Da Orgelgehäuse und Pfeifen von 1847 bis heute erhalten sind, dürfte der Schaden nur in Ruß- und Löschwasserschäden bestanden haben. Da aber die Versicherung den Schaden regulierte, nutzte die Gemeinde die Gelegenheit, ihre Orgel durchgreifend zu modernisieren. Sicher wollte der Organist R. Landgraf nun eine technisch moderne, pneumatisch gesteuerte Orgel (leichtgängiger als die frühere Mechanik), mit 4 statt 2 Koppeln und vielen Registrierhilfen, außerdem fehlten ihm die damals modernen zarten, gefühlvollen Streicherstimmen der Spätromantik: Aeoline und Vox coelestis samt Jalousie-Schwellkasten und Salicetbaß 16‘ im Pedal.

Schon am 21.2.1918 reichte Arno Voigt einen Kostenanschlag über „Umbau und Modernisierung“ der Orgel für 7.621 Mark ein. Die Feuersocietät wollte für die Orgelschäden 4.338,75 M zahlen. So wurde am 10.4.1918 der Auftrag an A. Voigt vergeben. Am 31.8.1918 unterbreitete Voigt ein Nachtragsangebot für 49 Ersatzpfeifen aus Zink im Prospekt für 640 Mark, die seltsamerweise im Umbauangebot „vergessen“ worden waren. Später wurde ihm noch ein Zuschuss von 1.000 M gewährt, sodass der Umbau insgesamt 9.261 Mark kostete.

Der Orgelumbau erfolgte 1919. Zuerst führte Malermeister Wilhelm Karl im Januar 1919 das „Waschen der äußeren Seite der Orgel“ aus. Die alten Pfeifen und Orgelteile lieferte man im April 1919 nach Liebenwerda. Bereits im Mai 1919 begann der Wiedereinbau. Am 3.7.1919 fand die Abnahme der fertigen Orgel durch den Kantor und Hauptlehrer aus Hirschfeld, Herrn Spangenberg, statt. Er lobte die Orgel und bemängelte nur, dass die 8‘-Register des II. Manuals im Verhältnis zu den 4‘ und 2‘ zu leise seien. Er empfahl, das Liebl. Gedackt durch ein „3-4mal lauteres“ Register zu ersetzen.

Den Orgelumbau nahm Arno Voigt als opus 40 in sein Werkverzeichnis auf. Es ist somit eigentlich die 7. Orgel in unserer Kirche, obwohl sie zu einem sehr erheblichen Teil aus dem Material der Gebr. Turley von 1847 bestand: Gehäuse, die Pfeifen von 16 (bzw. 17) Registern, Pedalklaviatur und Orgelbank, auch der Balg von 1907 wurden weiterverwendet. Es war also keine neue Orgel, sondern nur ein Neubau der technischen Anlage mit geringer klanglicher Erweiterung.

Von der Größe her war die Voigt-Orgel mit 19 Registern kaum größer als die Turley-Orgel, von der Klangstärke wahrscheinlich sogar schwächer, denn es kamen nur 3 sehr zarte romantische Klangfarben hinzu, während die kräftige Posaune 16‘ wegfiel und die Pfeifen des II. Manuals nun von einem Schwellkasten umhüllt wurden.

Die Orgel hatte pneumatische Kegelladen mit angebautem Spieltisch. Der Winddruck betrug 1937  85 mmWS, der Stimmton 435 Hz entsprechend der damaligen Norm.

Durch die Bestandsaufnahmen und Gutachten der folgenden Jahrzehnte zieht sich wie ein roter Faden die Kritik an der sehr einfach und kostensparend angelegten technischen Anlage, die hinter dem Niveau ihrer Zeit zurückblieb.

1932 führte Alfred Hippauf aus Bautzen eine Generalreinigung mit Reparaturen und klanglichen Veränderungen in der Mittellage der Gambe 8‘ für 380 Mark aus. Im Mai 1934 wurde die obere Empore mit 47,5 m² abgebrochen, was zweifellos die Akustik der Kirche durch längeren Nachhall beeinflusste. Danach wurde das Orgelgehäuse durch Malermeister Paul Hübner neu gestrichen in weiß, wie es bis 2022 zu sehen war. 1937-38 führte Hippauf Wartungen aus, blieb danach aber weg, als er eine Arbeit im öffentlichen Dienst bekam.

Deshalb führte die nächste Instandsetzung und Reinigung 1939 wieder A. Voigt aus. Er erhöhte den Winddruck auf 90 mmWS. 1943 wurde die „Beschaffung eines Harmoniums für Kirchenchorübungen“ beschlossen – sicher das jetzt über der Sakristei eingelagerte, beschädigte Instrument. Nach dem Krieg führte Arno Voigt 1947-49 die Jahreswartungen durch.

Im September 1949 bauten Gebr. Jehmlich, Dresden, einen Elektroventilator auf dem Dachboden mit 6 m Windkanalanschluss ein und sahen die Orgel durch. Damit benötigte man in Ortrand erstmals keinen Balgtreter mehr. Aber der Motor vibrierte lautstark und störend. Es folgten mehrere Reparaturvorschläge 1951/52, die jedoch abgelehnt wurden.

Grund war offenbar, dass sich der neue junge Kantor Schulze befähigt fühlte, selbst die Orgel reparieren und „verbessern“ zu können. A. Voigt schrieb 1952, Kantor Schulze habe „frevelhafte“ Eingriffe an der Orgel vorgenommen. Das Ev. Konsistorium entsandte daraufhin seinen Orgelsachverständigen, der am 17.3.1953 bestätigte, dass Schulze die Orgel eigenmächtig klanglich verändert hat. Diese „Lösung ist vom fachlich-künstlerischen Standpunkt aus zu beanstanden.“ Das Werk „verfügt z.Z. nur über einen höchst anfechtbaren Klangkörper“. Man stellt es der Gemeinde frei, von Schulze die Wiederherstellung zu verlangen oder auf seine Kosten ausführen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt war aber Schulze bereits wieder weggezogen. Er hatte einfach Pfeifen ausgehoben und an anderer Stelle wieder so hineingestellt, dass sie höher klangen, wie es ihm offenbar gefiel:

– aus dem Cornett wurden für das II. Manual ein Nassat 2 2/3‘ ab g° und eine Terz 1 3/5‘ ab b° gewonnen, dafür verschwanden Vox coelestis 8‘ und Viola damour 8‘, und der Platz des Cornett blieb gänzlich unbesetzt,

– die Mixtur wurde von 4 auf 2 Chöre reduziert und auf 1‘-Basis umgestellt

– der Principal 4‘ im II. Manual wurde zu 2‘ umgestellt, der auf fs‘‘ endete

– Spitzflöte 2‘ im II. Manual wurde zu Spitzquinte 1 1/3‘ umgestellt, die auf b‘‘ endete.

Die weggefallenen min. 167 Pfeifen sind zum Teil „verschwunden“, einige aus Mixtur und Cornett fanden sich an anderen Stellen der Orgel wieder.

Die Gemeinde beauftragte nun Reinhard Schmeisser aus Rochlitz mit einer Holzwurmbehandlung und Generalüberholung der vernachlässigten Orgel und einer Vollendung des klanglichen Umbaus, die er 1955 für 5.480 Mark ausführte. Der bis dahin spätromantisch-grundtönige Klang der Orgel sollte von nun an völlig anders klingen: hell, silbrig, schlank und spitz, wie eine Barockorgel (oder was man sich darunter vorstellte).

Durch die Umbauten 1952 und 1955 gingen etliche Originalpfeifen von Turley 1847 verloren: Viola d‘amour 8‘ vollständig sowie Gambe 8‘ (abgeschnitten zu Choralflöte), Hohlflöte 8‘ (C-H), Principal 4‘, Spitzflöte 2‘ (aufgerückt zum 1 1/3‘), Mixtur und Cornett (in Einzelreihen zerlegt) teilweise. In Subbass 16‘ und Octavbass 8‘ im Pedal wurden die meisten Holzpfeifen wegen Holzwurmbefall durch neue bzw. gebrauchte ersetzt. Wirklich neu baute Schmeisser nur die Rohrflöte 8‘ ab c° und die Oktavzimbel. Die 3 Register von Voigt verschwanden fast gänzlich, nur ein Teil der abgeschnittenen und höhergerückten Pfeifen der Aeoline 8‘ blieb im Sopran 2‘ des Pedals erhalten, für den Schmeisser eine pneumatische Zusatzlade baute und die Wippe der entfernten Oktavkoppel benutzte. Schwelltritt, Pianopedal und Walze legte er still bzw. baute sie aus. Der Schwellkasten blieb in der Orgel, nur die Türen wurden ausgebaut und daneben abgelegt.

Kantorin Gertrud Nagel beklagte sich nach beendigtem Umbau, dass der Gemeindekirchenrat das fehlende Krummhorn 8‘ nicht einbauen lassen möchte (es war nur sehr schwer mit D-Mark aus der BRD zu beschaffen). Die Abnahme nahm der Sachverständige Paul Wuttke aus Erfurt vor, der die Arbeiten Schmeissers lobte, die gerade generalüberholte und „aufgenordete“ Orgel aber sehr abschätzig bewertete: „Vielleicht macht sie einen neuen Platz, wenn günstige Zeiten kommen, oder sie erfüllt ihren Dienst nach der Reparatur so lange es eben geht“.

Es ging noch volle 67 Jahre, zunehmend mehr schlecht als recht. Denn seit 1955 ist an der Orgel fast nichts mehr geschehen. 2004 wurde ein neuer, hochwertiger Ventilator eingebaut. Ansonsten wurden immer nur als Notreparaturen einzelne Membranen erneuert. Immer mehr Töne fielen aus, teils ganze Register, oder klangen zu spät oder nur noch als warmer Luftstrom oder störendes Rasseln, manche blieben hängen und heulten. Der Holzwurmfraß breitete sich besorgniserregend aus und beschädigte massiv vor allem die empfindliche pneumatische Technik. Spielen auf der Orgel wurde zunehmend ein Zufalls-Erlebnis. Schmutzschichten beeinträchtigen Stimmung und Tongebung. Braun verfärbte Tastenbeläge, Risse und klapprige Pedaltasten zeugten bereits rein äußerlich von den gravierenden Mängeln. Bei Malerarbeiten wurden die Pedalpfeifen stark mit Farbe bespritzt.

Während der Kircheninnensanierung lagerten Helfer aus der Gemeinde 2019 das Pedalpfeifenwerk aus, deckten die Orgel ab und bauten danach die Pfeifen wieder ein, nur auf den desolaten Sopran 2‘ wurde verzichtet und er wurde im Untergehäuse eingelagert. Einige kleine Reparaturen machten die Orgel nochmals ein wenig spielbar. Im Oktober 2022 wurde sie schließlich von Helfern aus der Gemeinde ausgebaut und die zu restaurierenden, original von 1847 erhaltenen Pfeifen und Technikteile nach Bautzen in die Orgelbauwerkstatt Eule gebracht.

Ab da diente zunächst ein Regal (ein kleines tragbares Orgelwerk mit nur einem Zungenregister 8‘) der Fa. Tzschöckel als Interim und ab Dezember 2022 für 1 Jahr lang eine Truhenorgel der Fa. Eule, Bautzen, von 2007 mit 4 Registern. Sie waren die 8. und 9. Orgel in unserer Kirche.

 

Jiri Kocourek

Disposition der Turley-Orgel von 1847 seit der Restaurierung 2023

Hauptwerk (C-f‘‘‘)

 

Bordun 16‘
Principal 8‘
Hohlflöte 8‘
Viola di Gamba 8‘
Octave 4‘
Quinte 2 2/3‘
Superoctave 2‘
Mixtur 4fach 2‘
Cornett 4fach 4‘ ab c‘
Fagott & Oboe 8‘ ** 2024

 

Hinterwerk (C-f‘‘‘)

 

Viola d’amour 16‘
Flauto traverso 8‘
Gedackt 8‘
Principal 8‘
Flaute 4‘
Spitzflöte 2 2/3‘
Physharmonica 16‘ ** 2024
Physharmonica 8‘ ** 2024

 

Pedal (C-d‘)

 

Violon 16‘
Subbass 16‘
Octavbass 8‘
Posaune 16‘

 

* vollständig rekonstruiert

** zusätzlich

 

Nebenregister:

 

Manualkoppel
Pedalkoppel
Calcant (Motor)
Licht

 

 

1251 Pfeifen (700 original, 376 rekonstruiert (davon 9 stumme), 1 von 1955, 174 zusätzlich rekonstruiert)

 

Die Restaurierung und Rekonstruktion der Turley-Orgel durch Hermann Eule Orgelbau Bautzen 2022-2023, Jiri Kocourek

 „… damit die Gemeinde sich des Vortrefflichen, welches die Orgel bietet, auch wirklich erfreuen könne.“ (Johann Gottlob Töpfer, 1827)

Mit der Einweihung der restaurierten und rekonstruierten Turley-Orgel am 3. Advent 2023 kommt ein Projekt zum Abschluss, das bereits 2010 begonnen wurde. Damals hoffte die Gemeinde noch, dass die bereits stark beschädigte Voigt-Orgel zu reparieren sei und es wurden Kostenanschläge angeholt. Die Höhe der nötigen Mittel machte aber zunächst das Sammeln weiterer Mittel nötig.

Inzwischen verschlimmerte sich der Zustand der Technik von 1919 nicht nur immer weiter, sondern es wurde durch Archivforschungen von Herrn Detlef Kern, Ortrand, und Untersuchungen des Autors auch erstmals wiederentdeckt, wann und von wem die Orgel gebaut wurde und wieviel von ihr noch erhalten ist – das war vor 2015 in Vergessenheit geraten. Mehr noch: in Ortrand ist der größte erhaltene Pfeifenbestand von Johann Friedrich Turley überhaupt erhalten sowie der einzige von einer seiner vielen zweimanualigen Orgeln. Aus nicht weniger als 16 der einst 18 Register waren noch Pfeifen da, dazu das Gehäuse und verschiedene technische Teile wie die Pedalklaviatur und die Orgelbank.

All dies führte zu einem Neudenken des Projektes in Richtung einer Rekonstruktion der mechanischen Anlage und fehlenden Pfeifen der Turley-Orgel von 1847. Die Vorteile waren vielfältig:

– ein schlüssiger, überzeugender hochromantischer Klang konnte wiedergewonnen werden

– eine zuverlässige, sensible Spieltechnik war nun möglich, mit geringerem Wartungsaufwand

– die Zugänglichkeit für die Wartung konnte erheblich verbessert werden

– ein in Brandenburg einzigartiges Orgeldenkmal konnte wiedererstehen.

Mit einer aufwändigen Generalüberholung der vorhandenen Orgel hätte man stets nur das bisherige, in jeder Hinsicht unterdurchschnittliche, zweimal stark umgebaute Orgelwerk von 1919 und 1955 weiter am Leben erhalten.

Gerechtfertigt wurde das aufwändige Vorhaben durch die enorme Bedeutung, die die Turleys über 2 Generationen – darunter vor allem der Sohn Johann Friedrich – im brandenburgischen Orgelbau der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Frühromantik, einnahmen. Mit Zahl und Größe der Orgeln (bis 42 Register) reichten sie nahezu an den Großmeister des Brandenburger Orgelbaus, Carl August Buchholz in Berlin, heran, dessen Stil letztlich auch die Gebr. Turleys aufgriffen und weiterführten.

War anfangs noch an einen einfachen, streng budgetierten technischen Neuaufbau nur mit den 16 erhaltenen Registern gedacht, setzte sich alsbald Herr Detlef Kern aus Ortrand für eine ausreichende Finanzierung ein, hatte er doch bereits erfolgreich die umfassende Sanierung der Kirche bewerkstelligt. Die Fördermöglichkeiten, die Herr Kern akquirieren konnte, ließen Hoffnung aufkommen, um die Orgel wirklich wieder mit allen 18 Turley-Registern von 1847 wiedererstehen zu lassen. Als begleitender Sachverständiger konnte Herr Albrecht Bönisch aus Niesky gewonnen werden.

Nach einer Ausschreibung im Herbst 2021 entschied sich die Gemeinde für das Konzept der Fa. Eule aus Bautzen. Es sah eine denkmalgerechte Wiedererrichtung der belegbaren Gestalt der Turley-Orgel vor, mit Restaurierung aller erhaltenen Originalteile und Rekonstruktion der verlorengegangenen Teile. Nur die Balganlage von 1907 sollte weiterverwendet werden, da nicht erwiesen werden konnte, welche Balgbauweise die Gebr. Turley 1847 angewandt hatten. Gleiches galt für die 1847 erwähnte von oben angreifende Tontraktur, die als klassische hängende Traktur nachgebaut wurde, wie wir sie an den erhaltenen Turley-Orgeln vorfanden.

Als Vorbild für den Spielschrank und die technische Anlage wurde eine der wenigen späten und zugleich vollständig erhaltenen Turley-Orgeln in Eckmannsdorf von 1838 gewählt. Während die frühen Turley-Orgeln ihren Spielschrank seitlich haben, ist er bei den späten Orgeln in der Vorderfront – so war es auch in Ortrand. Dadurch unterscheidet sich die technische Konstruktion deutlich. In Eckmannsdorf fanden wir auch die unikaten „kernlosen“ Orgelpfeifen vor, deren Erfindung Turley in den 1830er Jahren publizierte. Wir nahmen sie als Vorlage für die vollständig verlorengegangene Viola d’amour 8‘ in Ortrand. Zum Vergleich wurde die größte noch erhaltene Turley-Orgel in Wildberg von 1830 untersucht. Hier fanden wir eine originale Posaune 16‘, die wir für Ortrand nachgebaut haben. Weiterhin wurde eine zweimanualige Orgel von Carl August Buchholz in Tribsees von 1831 untersucht, da die Bauweise der Turleys vermuten lässt, dass einer von ihnen bei Buchholz gearbeitet hatte und daher ihre Technik ähnlich angelegt war.

Alle 700 originalen erhaltenen Pfeifen aus 16 von einst 18 Registern (zzgl. 1 passende Pfeife von 1955, die beibehalten werden konnte) wurden im Oktober 2022 ausgebaut und in unsere Werkstatt nach Bautzen gebracht. Hier begann sofort die Restaurierung. Zunächst wurden die Pfeifen gründlich gereinigt und sorgfältig exakt sortiert zu den jeweiligen Originalregistern. Alle Schäden wurden minimalinvasiv und substanzschonend restauriert, fehlende oder zu stark beschädigte Stücke material- und bauartgerecht ersetzt. Zahlreiche gekürzte Pfeifen wurden auf die vorherige Tonlänge angelängt. Die erhaltenen Originalpfeifen wurden vermessen und daraus die Mensurreihen (Maße) für die Rekonstruktion der fehlenden Pfeifen ermittelt.

Im Frühjahr 2023 wurde das Orgelgehäuse durch Helfer aus der Gemeinde gemäß Spuren auf dem Fußboden um 60 cm nach vorn gerückt. Die Notwendigkeit dafür ergab sich auch aus dem zeichnerisch rekonstruierten Innenaufbau der Orgel, der sonst keinen Platz für einen Stimmgang der Posaune 16‘ geboten hätte. Im Juni 2023 erfolgte eine Holzwurmbegasung. Die aufwändigen Restaurierungsarbeiten am Holzwerk des Gehäuses (viele Risse und spätere Einschnitte und Löcher) samt der Anlängung nach hinten um 60 cm nahm im Juli 2023 die Orgelbauwerkstatt von Christoph Rühle in Moritzburg in denkmalgerechter Ausführung vor. Anschließend erfolgte die Restaurierung der Farbfassung des Gehäuses entsprechend dem Originalbefund durch Dipl.-Restaurator Udo Drott aus Bad Belzig. Im Inneren der Orgel wurde eine neue elektrische Anlage und Beleuchtung durch einen Elektromeister Zischang installiert.

Parallel dazu arbeiteten die Orgelbauer in der Bautzener Werkstatt Eule an der Turley-Orgel. Zunächst wurde die gesamte technische Innenanlage zeichnerisch konstruiert. Anschließend erfolgte der Bau der gesamten technischen Anlage in unserer Werkstatt:

– Spielschrankgehäuse mit Klaviaturen (mit weißen Untertasten, wie um 1847 üblich) und Registerzügen in Analogie zu Eckmannsdorf und der Buchholz-Orgel Tribsees; die Einschalter für Motor und Licht sind dezent als Registerzüge gebaut; die originale Pedalklaviatur wurde restauriert; die originale, aber ungewöhnlich bemessene Orgelbank wurde in Ortrand archiviert und eine  neue Bank in Anlehnung an Turley mit Unterlegklötzern für eine Höhenanpassung gebaut

– die gesamte mechanische Trakturanlage als hängende Trakturen mit einarmigen Tasten, mit den für Turley (und die damalige brandenburgische Orgelbauschule) typischen tief gekesselten und gebrannten Döckchenbohrungen, Manual- und Pedalkoppel mit Registerzug schaltbar

– 6 Windladen (je 2 pro Teilwerk, C-Cs-geteilt in Hauptwerk und Pedal, chromatisch geteilt h°-c‘ im II. Manual wie durch einige originale Pfeifenstöcke belegt; Hauptwerk vorn hinter dem Prospekt, II. Manual höhergestellt hinter dem Stimmgang, Pedal tiefgestellt hinten vor der Rückwand), in der Ästhetik Turleys, aber mit Sicherheiten für klimatische Stabilität unter heutigen Bedingungen

– Windkanalanlage aus massivem, dreilagig verleimten Nadelholz, mit dem vorhandenen Ventilator „Ventus“ von 2004 (Schnellläufer mit 14 m³ bei 105 mmWS), jedoch nun im Inneren der Orgel mit neuem Schallschutzgehäuse

– Inneres Tragwerk der Orgel aus massivem Nadelholz und breiten Laufböden und Leitern für sichere Stimm- und Wartungszugänge samt neuer Innenbeleuchtung.

Nach Fertigstellung aller Teile wurde die technische Anlage im Spätsommer 2023 in unserer Werkstatt vormontiert.

Zugleich wurden in der Pfeifenwerkstatt alle 376 fehlenden Pfeifen (darunter 9 stumme im Prospekt) originalgetreu rekonstruiert. Das betrifft:

– die Prospektpfeifen aus Principal 8‘, Octave 4‘ und einigen stummen Pfeifen in der Bauweise und Anordnung vergleichbarer Turley-Orgeln

– vollständig Viola d’amour 8‘ und Posaune 16‘

– teilweise Hohlflöte 8‘ ab c°, Viola di Gamba 8‘ ab e‘,

– fehlende Pfeifen in weiteren Registern der Manuale

– die unpassend ersetzten Holzpfeifen in Subbass und Octavbass des Pedals.

Rekonstruiert wurden die fehlenden Pfeifenstöcke, Rasterbänkchen und Hängeleisten für die großen Holzpfeifen sowie Zinnkondukten, einige nach den beim Ausbau aufgefundenen, jedoch stark beschädigten Originalstücken. Restauriert wurden die originalen Prospektkonduktenblöcke und -raster.

Mit Rücksicht auf die unikate Bedeutung der Orgel für das erhaltene Schaffen Turleys wurden 4 besondere Klangfarben als „Hommáge á Turley“ hinzugefügt, die Turley an seinen großen Orgeln gebaut hat, aber nirgendwo erhalten sind: eine Flauto traverso 8‘ im II. Manual, Fagott & Hoboe 8‘ im I. Manual (nach Buchholz in Triebsees 1831) sowie eine Physharmonica 16‘ im II. Manual, die zusätzlich als 8‘ verlängert wurde. Die beiden Zungenregister werden erst 2024 eingebaut.

Ende Oktober 2023 begann der Wiedereinbau der Orgel in Ortrand. Zunächst wurde der Balg von 1907 instandgesetzt und der Motor im Orgelinneren montiert (um negative Klimaeinflüsse vom Dachboden wie bisher auszuschließen). Am 2. November 2023 wurden die technischen Orgelteile angeliefert und der Einbau begann. Die Gerüstfirma Linge aus Großthiemig hatte dazu ein großes portalartiges Gerüst mit Lastenaufzug gebaut. Im Anschluss wurde die gesamte technische Anlage der Orgel einschließlich Spielschrank eingebaut und einreguliert.

Ende November 2023 begann das Intonationsteam sein Wirken: Alle restaurierten und rekonstruierten Pfeifen wurden Register für Register eingebaut und ihre Klanggebung auf den realen Klang im Kirchenraum eingestellt. Die Orgel erhielt ihre klangliche Seele. Als letzter Arbeitsschritt erfolgte die Generalstimmung.

Mit der restaurierten, rekonstruierten und ergänzten Turley-Orgel hat Ortrand ein unikates, klangschönes und hochwertiges Instrument mit früh- bis hochromantischem Charakter erhalten, dass sich innerhalb der südbrandenburgischen Orgellandschaft mit seinen individuellen Besonderheiten markant profiliert. Es ist die größte spielbare Turley-Orgel überhaupt, darunter die einzige zweimanualige. Sie legt damit ein bemerkenswertes Zeugnis ab für diese seinerzeit bedeutende, heute oft sagenumwobene brandenburgische Orgelwerkstatt, die zu Unrecht im Schatten der größeren und produktiveren Werkstätten wie Buchholz, Lütkemüller und später Sauer, Grüneberg u.a. stand. Sie ist das 10. Orgelinstrument in unserer Kirche. Mit letztlich 22 Registern ist sie genau so groß wie die Silbermann-Orgel im benachbarten Großkmehlen – aber mit einem ganz anderen, eigenen romantischen Klangbild.

 

Foto: Detlef Kern

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